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Ich arbeite seit vielen Jahren als Betreuer in einem Heim für Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung. Doch noch immer studiere ich dran herum, weshalb mir die Arbeit eigentlich so gut gefällt. Weshalb ist mir manchmal viel wohler, wenn ich mit den Menschen dort zusammen bin?

Das Wichtige sind häufig kleine flüchtige Dinge, die aber im Moment ganz wichtig sind. Wir waren zum Beispiel einmal mit den Bewohner*innen in Holland in den Ferien. Eine Frau ging gerne in Kirchen. Sie stand einfach da und hat alles angestaunt. Ich stand neben ihr und habe sie angestaunt oder zusammen mit ihr gestaunt.

Beim Besuch in einem Freilichtmuseum bin ich einfach dort gestanden, anstatt voranzugehen und die Richtung vorzugeben. Was macht ihr jetzt, wohin geht es? Und dann bin ich nachgelaufen und habe das angeschaut, was sie angeschaut haben. Nichts war geplant, alles in ihrem Tempo. Man kommt aus der Rolle heraus, in der man im Alltag häufig drin ist. Es geht nicht darum, eine Aufgabe zu erledigen, sondern darum, das Leben kennenzulernen.

Ein Fernsehreporter porträtierte unser Heim aus Sicht eines Bewohners. Da gibt es eine spezielle Szene. Max filmt und benennt alle Dinge und Menschen, die er kennt: Patrick, den Eimer, Peter… Dinge und Menschen sind für ihn etwa das Gleiche. Er ist einfach so, sein Leben ist einfach anders. Die Aufgabe ist, ansatzweise zu verstehen, wie seine Welt aussieht, die Emotionen nachvollziehen zu können. Dadurch wird man selbst auch ein Teil seiner Welt. Man merkt, man könnte das Leben ganz anders anschauen, wenn man den Eimer so anschaut wie Max.

Ich gehe ins Tanzen und ab und zu dürfen wir auch improvisieren, das mache ich am liebsten. Etwas erfinden und dann darauf reagieren, was der andere tut. Dabei bist du ganz lebendig. Bei meiner Arbeit ist es dasselbe. Man erfindet das Leben gerade in dem Moment.

Einmal gab es einen Konflikt am Esstisch. Ich habe nichts gesagt, mich gebückt, die Schuhe ausgezogen und neben den Tisch hingestellt. Alle haben komisch geschaut: was macht der denn? Da war der Konflikt bereits vorbei.

Stell dir so was mal in einer politischen Diskussion vor.