#56
Mann steht in Bäckerei vor Theke

Wir wollten im Freundeskreis schon länger zusammen ein Unternehmen gründen. Einer von uns sah auf einer Reise ein Projekt, das am Abend in Bäckereien unverkaufte Esswaren sammelte und am nächsten Tag unter dem Motto Frisch von gestern verkaufte. Wir waren begeistert: das machen wir auch. 2013 haben wir die Äss-Bar gestartet. Keiner von uns Vieren hatte eine Ahnung von der Lebensmittelbranche, zwei Freunde sind in der Finanz- und Versicherungsbranche, einer ist Medizinaltechniker. Ich arbeitete im Bahntechnik– und Tunnelbau und baute die ganze Äss-Bar im Nebenamt auf. Das Gewicht verschob sich immer mehr zur Äss-Bar hin und heute haben wir elf Standorte und über hundert Mitarbeitende.

Am Anfang war Food-Waste noch ein Fremdwort. Wir mussten die Bäckereien, von denen wir die unverkaufte Ware abholten, richtig akquirieren. Heute gibt es eine Warteliste, weil wir nicht mehr Kapazität haben. Wir finden zunehmend andere Lieferanten, Tankstellen oder Takeaways, von dort kommen mehr Salate. Neu ist auch ein Lieferant von Fertig-Menus, die laufen wir verrückt. Auch die Nachfrage nach unserem Catering nimmt zu.

Zunehmend wird Food-Waste als Ressource entdeckt, die man kommerziell bewirtschaften kann. Ich bin selber auch noch an einem Projekt mit einer Bierbrauerei dran, wo übriges Brot 15 Prozent vom Malz ersetzt.

Wir wollten nie Geld von Investoren, niemand sollte uns reinreden. Die Äss-Bar ist gewinnorientiert, aber macht nicht auf Gewinnmaximierung. Wir behalten im Geschäft das, was es für eine gesunde Liquidität braucht. Den Rest investieren wir wieder in die Firma. Das gibt uns viel unternehmerische Freiheit.

Man könnte mehr Geld aus diesem Business herausholen. Aber das wäre nicht unser Stil, es täte uns nicht gut, wir hätten andere Mitarbeitende, andere Kund*innen, ein anderes Image und wohl auch einen anderen Geschäftsführer. Klar, wir sind in einer Branche, wo man nicht so viel verdient, aber wir zahlen mehr als den empfohlenen Branchen-Mindestlohn. Die Sorgfalt gegenüber dem Personal sehen wir als Investition. Sie lohnt sich wirtschaftlich und passt eben auch zu unserer Philosophie.