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Ich leite eine Spitex-Organisation. Ich bin überzeugt von der Idee, Kranke zuhause zu pflegen. Es ist anders als im Spital, wo du ins Zimmer kommst, die Aufgabe am Krankenbett erledigst und wieder gehst. Bei uns klingelst du an der Türe, betrittst eine Wohnung und bist ein Gast. Wir sehen, wie jemand sich eingerichtet hat, wir wissen viel über die Person, man kommt sich bei der Arbeit ganz wörtlich richtig nahe. Manche Klient*innen sehen wir mehrmals am Tag und für mehrere Stunden. Da braucht es eine echte Beziehung, damit es der kranken Person wohl ist. Sie soll auch etwas von mir wissen dürfen.

Eine Frau mit einer komplexen Krankheit besuchten wir zweimal pro Tag. Sie zu pflegen ging so schnell, wie es eben ging. Du kannst in solchen Situationen nicht einfach dein Programm abspulen, die Klientin gibt den Takt vor. Da entsteht Raum für Gespräche. Von dieser Frau habe ich gelernt, wie man sich richtig auf Ferien freut. Sie fragte mich, was meine Pläne seien, wohin ich dieses Jahr reisen wolle. Dann haben wir wochenlang im Voraus darüber gesprochen, beziehungsweise sie hat referiert. Sie ist früher selber viel gereist und hat Schönes und weniger Schönes erlebt. Was isst man dort? Wo ist es am schönsten? Was sollte man sicher nicht verpassen? Nach der Rückkehr aus meinen Ferien berichtete ich eine längere Zeit darüber. Wir erlebten meine Reise zusammen nochmals. Meine Ferien wurden mit ihr massiv verlängert. Sie lehrte mich, mich länger und intensiver mit etwas zu beschäftigen und mehr Freude an einer Sache zu haben.