#164

Mit Anfang Zwanzig habe ich meinem Gottenkind zur Geburt ein Buch zur Friedensbewegung geschenkt und einen Brief dazu gelegt: Wenn ich einmal erlahmen sollte, solle sie mich bitte wachrütteln.

Bereits als Jugendlicher hatte ich Konflikte, weil mir die Umwelt wichtig war. Mein Vater hatte es gerne recht warm. Während der Energiekrise stellte ich immer wieder die Heizung tiefer und als am Sonntag niemand zuhause war, habe ich hinter alle Heizkörper Alufolie geklebt, damit die Wärme in den Raum strahlte. In der Kirche bekam ich auf den Deckel, weil ich wollte, dass sie zur Überfremdungsinitiative Stellung beziehen. Während dem Studium habe ich mich intensiv fürs Velo und die Verkehrspolitik eingesetzt und als das Waldsterben kam, habe ich für autofreie Sonntage gekämpft. Ich dachte damals, eigentlich bräuchte es eine Ökodiktatur.

Heute bin ich pragmatischer. Ich habe den Verein Klimastadt Zürich mitgegründet. Zürich soll im Klimaschutz vorbildlich werden. Die Voraussetzungen sind ideal, genug Geld, tolle Bildungsinstitutionen und eine fortschrittlich gesinnte junge, urbane Bevölkerung. Wenige Monate nach unserem Start ging die Klimajugend auf die Strasse, das hat uns unglaublich begeistert. Wir sind mit zwei Forderungen der Bewegung zu den Parteien gegangen: einen Klimanotstand auszurufen und bis 2030 klimaneutral zu werden. Im politischen Prozess wurde der Inhalt dann leider abgeschwächt. Aber im letzten Jahr haben wir die Abstimmung Zürich netto Null 2040 gewonnen, das ist doch schon etwas.

Jetzt haben wir im Klimapavillon die Bibliothek zur glücklichen Zukunft aufgegleist. Die Wissenschaft sagt, dass wir die Menschen mit positiven Bildern eher zum Handeln motivieren, das probieren wir hier aus. Alle können herkommen und einen Beitrag platzieren, wo Zürich in zwanzig Jahren stehen soll. Die Leute können uns Geschichten, Ideen, Wünsche, Tagebuchseiten, Songs, Filmchen, Gedichte oder Gebasteltes bringen. Unsere Bibliothek löst bei den Menschen etwas aus, sie fühlen sich inspiriert, schauen die Beiträge an oder schreiben selber etwas.

Ich glaube fest daran, dass ich mithelfen kann, die Welt ein wenig in eine bessere Richtung zu lenken. Das ist das Wichtigste für mich, das ist mein Glück. Wachrütteln musste mich bis heute niemand.

Bild