Das Gasshuku in Bern findet jeden Sommer statt. Gasshuku ist japanisch und heisst Wochenendfreizeit. So richtig nach Freizeit haben sich zwanzig Stunden Karate in vier Tagen aber nicht angefühlt. Ich hatte zwischenzeitlich grausame Schmerzen in den Beinen.
Gasshuku hat viel mit dem konfuzianischen Bildungsideal zu tun, dass Wissen weitergegeben wird. Wer mehr weiss, teilt seine Erfahrungen mit denen, die noch nicht so weit sind. Im Zentrum steht nicht, was eine Schülerin schon kann, sondern ob sie sich ehrlich und richtig bemüht. Ich fühlte mich trotz meinem blauen Gürtel auch von den grossen Sensei anerkannt, das sind die Karate-Meister. Auch wir wurden von den besten Trainer*innen unterrichtet. Wenn ich eine Technik nur schlecht beherrschte, wurde ich dafür gelobt, dass ich immer und immer wieder versucht habe, es besser zu machen.
Es macht dich richtig glücklich, wenn du einen Faustschlag einmal so ausführen kannst, dass der Lehrer sagt: Wow, das hat jetzt aber richtig gesessen! Oder wenn du bei einer Drehtechnik endlich nicht mehr in der Gegend herumtorkelst, sondern der Fuss gezielt in die richtige Richtung schnellt. Wenn dir dann in der Garderobe noch eine Karatefrau von der obersten Liga sagt, dass ihr dein Engagement aufgefallen ist, dann ist das pures Glück. Währen dieser vier Tage ist alles nur noch Karate.
Beim gemeinsamen Training fühlt man sich als Teil einer langen Tradition, in der alle das gleiche Ziel haben: immer besser zu werden, die Schwächen von Körper und Geist zu überwinden und nach Perfektion zu streben. Fast zweihundert Menschen waren beim Gasshuku dabei. Aufwärmen und Chill-Out wurden immer gemeinsam durchgeführt. Am Schluss machten wir immer synchron zehn Oi-Zukis zusammen. Mit maximaler Kraft wird die Faust nach vorne gestossen und jeder Schlag wird durch einen Kiai verstärkt, einen Kampfschrei. Bei so vielen schreienden Karateka bekommst du Gänsehaut.
