#139

Als ich im Spitalcafé sass, hat er die Tische geputzt.

Ich bedankte mich und kam sofort mit ihm ins Gespräch. Kurz danach kam er nochmals zu mir. Er hat sich so gefreut, dass ich seine Arbeit geschätzt habe und vielleicht auch, dass wir uns auf einer menschlichen Ebene begegnet sind. Seit da haben wir uns ab und zu im Café getroffen, ich, eine pensionierte Lehrerin, er, ein junger Mann aus Afghanistan, in der Schweiz als Flüchtling.

Wir haben über alles Mögliche gesprochen. Über sein wunderschönes und vom Krieg geplagtes Land, seine grosse Familie, seine Flucht. Immer wieder auch darüber, wie sehr er seine Mutter vermisst, das sagte er oft. Und irgendwann fragte er mich: Möchtest du hier in der Schweiz meine Mama sein? Stell dir das vor. Ich bin mit 63 Jahren noch Mama geworden.

Dass ein Muslim eine Christin so etwas fragt, das ist wohl nicht selbstverständlich, das ist doch schön. Es ist für uns beide spannend, die andere Kultur kennenzulernen. Mittlerweile kommt er auch gerne ab und zu bei mir zu Hause zum Mittagessen vorbei. Wir haben uns immer noch viel zu erzählen, können viel voneinander lernen. Der Gesprächsstoff geht uns nicht aus.

Er ist nun im Alter, wo er eine Frau sucht, nicht als Freundin, sondern zum Heiraten, wie es in seiner Kultur üblich ist. Erst gerade hat er eine afghanische Familie mit einer Tochter getroffen, die ihm gefällt. Ohne Pandemie wären wir zusammen vorbeigegangen, um uns vorzustellen und die Familie kennenzulernen.

Wenn er mal seine eigene Familie hat, braucht er mich vielleicht nicht mehr so. Oder vielleicht werde ich dann einfach Grossmama, wer weiss?