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Am Anfang der Pandemie war es vor allem schwierig, sich gegenseitig zu finden. Wir haben einen Flyer gemacht, den viele Freiwillige im Schnelltempo an allen Türen aufgehängt haben, Strasse für Strasse. Es war lässig, wie schnell die Leute mitmachten. Über ein Formular konnte man sich eintragen, wenn man Hilfe suchte oder Hilfe anbieten wollte. Die Leute riefen an: «Ich bräuchte jemanden zum Einkaufen in den nächsten zwei Tagen.» Es bildete sich ein Koordinationsgrüppli von zehn Frauen. Wir schauten, dass zu Bürozeiten immer jemand erreichbar war.

Das Ganze war, wie vieles in dieser Zeit, irgendwie surreal: Auf der einen Seite war ich zuhause fürs Studium am Lernen, auf der anderen koordinierte ich Telefondienst und Hilfeleistungen.

Ich hatte ein Telefon mit einer Frau, das mich sehr berührte. Sie sei sehr einsam, normalerweise kämen ihre Kinder und Grosskinder zu Besuch und brächten ihr Blumen. Und so ein Blumenstrauss, das wär schon schön. Später rief sie wieder an und sagte, wie sehr sie sich über die Farbe in der Stube freue.

Es gab allgemein so viel Dankbarkeit, das habe ich früher weniger erlebt. Viele Leute riefen gar nicht in erster Linie wegen einem Grundbedürfnis an. Sie hatten ein Bedürfnis zu reden und wir versuchten, diese Möglichkeit zu geben.

Ich gehe immer zur gleichen Zeit einkaufen. Beim Nachbarshaus hats immer ein älteres Ehepaar, die freundlich grüssen. Ich habe in dieser Zeit das erste Mal wirklich mit ihnen geredet. Es macht so Freude, wenn jemand ohne besonderen Grund freundlich ist. Auch sonst bin ich mir meiner Nachbarn bewusster geworden. Wenn man feststeckt, fällt einem plötzlich auf, wie schön ein Spaziergang im Quartier ist, bei dem man noch mit einigen Nachbarn reden kann.

Ich hoffe fest, dass die Solidaritätswelle bleibt. Und was mir sehr wichtig ist: dass wir es schaffen, die Solidarität auszuweiten, vom eigenen Grosi auf Asylsuchende, Menschen in Lagern auf Lesbos. Dass diese Solidarität nicht an der Landesgrenze haltmacht.